HessenGefängnisse
damals, gestern und heute
im Rahmen der internationalen Entwicklung
angereichert durch persönliche Erfahrungen
Hessen war schon mal mehr als das heutige Bundesland. Niederlahnstein, Oberlahnstein, Bad Ems, Kaub,
Mainz, Worms, Aschaffenburg im Großherzogtum Frankfurt (1810-1813) waren auch mal Hessen,
sogar Bad Wimpfen als Frankfurter Enklave.
Schmerzlich willkommen!
gertlinz@web.de
Letzte Bearbeitung 22.10.2023 - 11:30 Uhr
"Schöner Sitzen" - Der Umzug eines Untersuchungshaftgefängnisses - https://www.youtube.com/watch?v=_wg3J2JDfD4
oben: Strafanstalt Preungesheim bei Frankfurt > 1889 - aus Frankfurt und seine Bauten,
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Nonne im Knast
Januar 1992
Tonnenweise müsste Liebe nachgeliefert werden
Schwester Michaelis von den Ursulinen in Königstein berichtet:
Vierundvierzig Jahre war ich mit Leib und Seele in der Schule. Zwei Jahre bin ich mit Leib und Seele aus der Schule! Wie ist das möglich? Oft muss ich denken: Micha, dass du einen so schönen Dienst tun darfst, ist einfach unfassbar! Was tue ich?
Jeden Mittwoch fahre ich mit dem Bus, S- und U-Bahn von Königstein nach Frankfurt-Preungesheim ins Untersuchungsgefängnis der Männer. Damals hatte der Gefängnispfarrer gesagt: „Bei den Frauen habe ich genügend Mitarbeiterinnen, wären Sie auch bereit, zu den Männern zu gehen?“ Ich antwortete lachend: „Mit Männern habe ich zwar keine Erfahrung; aber ich will es versuchen.“
Nun bin ich schon im dritten Jahr ehrenamtliche Mitarbeiterin in der katholischen Gefängnisseelsorge und, wie gesagt, mit großer Freude. Ich besuche an diesem Vormittag etwa drei bis fünf Gefangene, Menschen mit den verschiedensten Straftaten: Totschlag, Drogengeschäften, Diebstahl, Vergewaltigungen u.v.a.. Es sind nur solche Leute, die vorher vom Pfarrer gefragt wurden, ob sie von einer Ordensschwester besucht werden möchten. Dadurch sind natürlich schon wichtige Schranken abgebaut. Die Gefangenen werden von einem Beamten zu Einzelgesprächen ins Sprechzimmer gebracht.
Ja, was habe ich in diesen Jahren schon alles erlebt, Welche Einblicke in das menschliche Herz habe ich tun dürfen!. Fast durchweg hat es in der Kindheit und Jugend an Liebe und Zuwendung gefehlt. Tonnenweise müsste nun Liebe nachgeliefert werden.
Einer bat mich, seiner Mutter zu schreiben, sie solle ihm doch mal eine Postkarte zu schicken. Lange hat es gedauert, bis die Antwort kam. Als sie schließlich eintraf, konnte ich sie dem Gefangenen nicht mitteilen. Die Mutter schrieb, sie wünsche keinen Kontakt zu ihrem Sohn. Der habe in seiner Jugend das und das angestellt…Nun solle er sein Leben allein leben…“Meine Mutter hat ein Herz von Kruppstahl“, hat mir der Gefangene oft genug gesagt. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis hat er zweimal der Mutter einen Blumenstrauß geschickt. – Keine Antwort! Was soll aus einem solchen Menschen werden.
Zurück ins Gefängnissprechzimmer. Wie geht es da vor sich? Zunächst höre ich zu, lasse mein Gegenüber erzählen. Das Herz ist ja voll genug. Grau und schwer ist der Gefängnisalltag: 23 Stunden in der Zelle, allein oder zu zweit, das ist kaum erträglich. Die eine Stunde Hofgang wiegt diese Eintönigkeit nicht auf. Keine Arbeit, keine Verdienstmöglichkeit, folglich auch keine Gelegenheit, im Gefängnisladen mal eine kleine Annehmlichkeit einzukaufen. Keine Abwechslung.
Schon bald hatte ich festgestellt: Du brauchst Geld! Aber woher? Nach 44 Schuljahren ist der Kontakt zu ehemaligen Schülerinnen sehr lebhaft. So habe ich ein Sonderkonto MICHA-HILFE eingerichtet. Und es blüht! Ohne die vielen treuen Spenderinnen könnte ich nicht helfen. Inzwischen habe ich allerhand Erfahrungen gesammelt: Ich kenne die verschiedenen Tabaksorten, kann günstig Jogginganzüge, Sportschuhe, T-Shirts u.ä. einkaufen. Weil der Gefangene nur dreimal im Jahr ein kleines Paket empfangen darf (strenge Vorschriften!), aber meist niemand hat, der ihm seine Packetmarke einlöst, bin ich – oft genug auch über die Untersuchungshaft hinaus – die einzige Bezugsperson für solche Dienste.
Und nochmals zurück ins Gefängnissprechzimmer. Worum geht es dort selbstverständlich auch? Der Gefangene erwartet von der Schwester das religiöse Angebot. Ich bereite mich darauf nicht großartig vor; aber von Königstein bis Preungesheim nehme ich das Wort Gottes in mich hinein, um es dann mit dem Gefangenen zu teilen. Wir lesen eine Bibelstelle, beten miteinander, betrachten auch mal ein Bild. Einmal ist es passiert, dass ich mich verabschieden wollte: „Also, auf Wiedersehen, Herr Müller!“ Aber der entgegnete: „Schwester, wir haben heute ja noch nicht gebetet!“ „Das muss nachgeholt werden!“ sagte ich lachend.
Ein besonderes Anliegen ist es mir, den Tag der Freiheit vorzubereiten, Mut zu machen zu einem neuen, besseren Leben. So ist die Korrespondenz zu Gefangenen im Strafvollzug, die nach der Untersuchungshaft in andere Anstalten verlegt worden sind, recht umfangreich geworden.
Ich kann nur Mut machen, Ähnliches zu versuchen.
streiflichter aus der gefängnisseelsorge 48
Schwester Michaelis wurde später als Seelsorgehelferin verpflichtet. So bekam sie auch einen Schlüssel und konnte sich innerhalb der JVA I frei bewegen: ein Segen, nicht nur für die Gefangenen!
Als 1997 die JVA Frankfurt am Main aufgelöst wurde, wollte sie unbedingt Straßenkindern in Frankfurt helfen. Ich habe ihr das ausgeredet, weil ich meinte, sie wäre zu alt dafür und zu gebrechlich...vielleicht war das falsch.
2008 ist sie verstorben - Micha du warst großartig! Ich glaube, bei einem Jubiläumsgottesdienst für dich im Ursulinenkloster in Königstein habe ich das schon mal gepredigt... 20. August 2019